Nordrhein-Westfalen
Das Industriewaldprojekt entspringt dem Ringen um neue Landnutzungsformen im Strukturwandel des Ruhrgebiets nach dem Ende des Bergbaus. Während der Internationalen Bauausstellung im Rahmen des Emscher Landschaftsparks wurden Ideen für Bergbaufolgeflächen entwickelt. Die kreativen Planerinnen und Planer wollten Wald mit dem Fokus auf die Ökosystemleistungen Lebensraumbereitstellung, Biodiversität, Prozessorientierung, Kühlung, Bildung und Forschung neu in der urbanen Landschaft etablieren.
Die Landesforstverwaltung NRW mit ihrer Waldexpertise nahm die Herausforderung an, das Industriewaldprojekt zu leiten und die Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft, Verwaltung, Landschaftsplanung, Bau, Naturschutz, Pädagogik und Kunst mit Leben zu füllen. Mit drei Flächen in Gelsenkirchen und Essen startete das Projekt 1996. Heute sind 9 Flächen in 5 Kommunen mit 181 ha im Industriewaldprojekt, davon sind 43 ha Staatswald und 138 ha über Kooperationsverträge, gebunden. Allen gemeinsam ist, dass sie Sukzessionswald in verschiedenen Ausprägungen beherbergen.
Die Flächen werden nach den Grundprinzipien des Industriewaldes bewirtschaftet. Das heißt, dass Sukzession zugelassen wird, dabei werden alle ankommenden Arten toleriert, die Flächen sind zugänglich, einzige Ausnahme bilden besondere naturschutzfachlich geschützte Lebensräume. Umweltbildung, Forschung und Kunst finden aktiv auf den Flächen statt. Dabei wird ein ehemaliges Umspannwerk als Umweltbildungshaus mit Werkstatt genutzt.
2 die Pflanzenwelt erobert sich den RaumFoto: Oliver Balke
Details
- Projektträger:
- Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen, Regionalforstamt Ruhrgebiet
- Adresse:
- Virchowstr.123
45886 Gelsenkirchen - Kooperationspartner:
- Biologische Station Westliches Ruhrgebiet e.V.
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Projektbeschreibung
Von einem sogenannten „Restflächenprojekt“ hin zu- einem international ausstrahlenden innovativen und zukunftsorientiertem urbanen Waldprojekt, in dem Wald zunehmend als wertvoll und wild erlebt wird, hat sich das Industriewaldprojekt Ruhrgebiet entwickelt. Begriffe wie Industriewald, wertvoller, wilder Wald oder Sukzessionswald werden heute nahezu synonym verwendet um die seit etwa einem Viertel Jahrhundert bewusst der Sukzession überlassenen Pflanzen- und Tiergesellschaften auf ehemaligen Bergbauflächen zu beschreiben. Die Begriffe drücken deutlich aus, welcher Wertewandel in den letzten Jahren stattgefunden hat.
Bewusst suchten die Planer der Internationalen Bauausstellung neue Landschaftsformen im Strukturwandel. Zu viele Industriebrachen waren gleichzeitig verfügbar, lagen brach und so entstand die Idee die eingezäunten Flächen behutsam durch Wege zu öffnen, ansonsten in der Fläche der Sukzession zu überlassen, und sie, mit dem Fokus auf ausgewählte Ökosystemleistungen, gezielt zu managen. Ein Lebensraum für alle, inklusive der Stadtbevölkerung, sollte zur Verfügung gestellt werden. Der wilde Wald sollte verstärkt als Umweltbildungsort dienen, aber auch durch Industriekunst aus Stein, Holz und Metall den Bezug zur Vergangenheit und Neugierde herstellen. Ergänzt wurde dieser Ansatz durch eine erholungsorientierte Wegeführung. Die natürlich ablaufende Sukzession wird mit interdisziplinärer naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Forschung begleitend untersucht. Die Selbstheilungskräfte der Natur sind somit auf solchen Flächen gut erleb- und vermittelbar. Als fachkundige und dauerhafte Betreuer, Behüter und Vermittler erklärten sich die Forstleute in einem breiten Netzwerk der biologischen, geografischen, naturschutzfachlichen, pädagogischen, künstlerischen und stadtplanerischen Fachkompetenz vor Ort bereit, diese spannende Aufgabe anzugehen.
Das Industriewaldprojekt wird durch den Landesbetrieb Wald und Holz NRW durch einen Forstwirtschaftsmeister und einen Förster federführend bearbeitet. Die Forstleute sind zu einem Großteil mit Verkehrssicherung entlang der Wege und wichtigsten Kinderspielorte sowie naturschutzfachlich bedingten Pflegemaßnahmen und der Umweltbildung, Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit befasst.
Sie fanden keinen natürlich gewachsenen Boden vor, sondern stark industriell beeinflusste Substrate die von Nährstoffmangel, Bodenverdichtung und exotischer Zusammensetzung geprägt waren und sind. Somit stellen sich Arten, die mit den rauen Rahmenbedingungen wie Stadtklima und Bergbaufolgeböden zurechtkommen, ein. Auf einigen Flächen mit Bodenverdichtungen entstanden nach und nach natürliche Kleingewässer. Diese wurden als neu eroberter Lebensraum von zahlreichen Libellenarten wie dem Plattbauch oder Amphibien wie der Geburtshelferkröte bald erobert. Mit der Zeit bildet sich meistens, nach einer Phase mit Gräsern, Moosen und Kräutern und bald auch mehrjährigen krautigen Pflanzen wie dem Natternkopf, der Goldrute und Nachtkerzen sowie ersten Pionierbaumarten und lichtliebenden Sträuchern eine buschige und dichtere Vegetationsschicht heraus.
Typische Vertreter sind in den Industriewäldern Sommerflieder, Weißdorn, schwarzer Holunder, Birken, Weiden und Erlen. Manchmal entsteht direkt ein lichter junger Birkenwald. Das ist abhängig von der Verfügbarkeit von Samen, den kleinflächig wechselnden Boden- und Nährstoffbedingungen, dem Relief und der Wasserverfügbarkeit. Der wilde Wald entsteht, verharrt und zerfällt in seinem eigenen Tempo. Auf einigen Flächen brauchen die Pflanzen länger um anzukommen und zeigen ein langsameres Wachstum verglichen mit alten Waldstandorten. So wirken die Birkenwälder häufig jünger als sie in Wirklichkeit sind. Die Waldstruktur wird durch eine hohe Stammzahl und, im Rahmen natürlicher Konkurrenzvorgänge, einem hohen Totholzanteil bestimmt. Nach etwa 25 Jahren haben viele Flächen einen Waldcharakter erreicht, zumal sie nicht zeitgleich mit der „Rückereroberung“ der Flächen gestartet sind sondern je nach Historie bereits Jahre des Wachstums hinter Zäunen nutzen konnten. Größere Säugetiere als der Rotfuchs fehlen aufgrund der Insellage der Flächen im urbanen Raum. Auch das birgt Vorteile, denn keine Rehe verbeißen die aufkommende Naturverjüngung. Lediglich der menschliche Einfluss wie die Nutzung von Trampelpfaden durch die wilden Wälder ist sichtbar und wird toleriert.
Da absterbende Bäume im Wald verbleiben, bieten sie wiederum Lebensraum für Artengruppen, die diese Strukturen brauchen. Das sind in erster Linie Pilze, Insekten, Vögel und Kleinsäuger. Diese Artengruppen können in der waldbezogenen Umweltbildung hervorragend eingesetzt werden, um unter Kindern als auch anderen interessierten Besuchern forschendes Lernen zu ermöglichen und eine Naturverbundenheit zu entwickeln, durch die später im besten Fall der Schutz und Erhalt dieser neuen Waldökosysteme tatkräftig unterstützt wird.
Dokumente
2022_Ausgewählte-Titel-der-Begleitforschung-zum-Industriewaldprojekt.pdfGröße 77 KB
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