bundeslandübergreifend
Sieben Partner aus Kommunen und Wissenschaft haben in der Zeit von 2016 bis 2021 das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) im Rahmen des Bundesprogramms für biologische Vielfalt geförderte Projekt „Städte wagen Wildnis – Vielfalt erleben“ durchgeführt. Dies waren die Städte Dessau-Roßlau, Frankfurt am Main und die Landeshauptstadt Hannover; die Wissenschaftspartner kamen von der Hochschule Anhalt, dem Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt am Main und der Leibniz Universität Hannover. Die übergeordnete Öffentlichkeitsarbeit wurde von BioFrankfurt geleistet.
Die wesentlichen Ziele des Projektes sind dessen Beiträge zum Erhalt und zur Steigerung der biologischen Vielfalt wie auch dazu, die Menschen in den Städten für „Stadtwildnis“ zu gewinnen. Die Prüfung der Zielerreichung erfolgte im Rahmen projektbegleitender Studien, mit deren Hilfe zum einen die Wahrnehmung und Akzeptanz der Stadtwildnis, zum anderen die Arten- und Biotopvielfalt erfasst worden sind - zu Beginn, im Laufe und am Ende des Vorhabens.
Die Rahmenbedingungen in den Projektstädten (unterschiedliche Entwicklung der Bevölkerungszahlen mit in der Folge einem Mangel oder gar Überangebot an Stadtwildnis) waren entscheidend für die Ausrichtung der Maßnahmen in den Handlungsfeldern der Öffentlichkeitsarbeit, der Umweltbildung wie auch der Förderung der Arten und Biotope auf den insgesamt 35 Projektflächen. Viele dieser Flächen haben sich als kommunale Hotspots der Artenvielfalt entwickelt. Dies gilt es zu bewahren.
Erfolgversprechender Artenschutz am Fuße des Monte Scherbelino in Frankfurt am Main: frisch geschlüpfter FlussregenpfeiferFoto: Andreas Malten
Details
- Projektträger:
- Stadt Frankfurt am Main
- Adresse:
- Galvanistr. 28
60486 Frankfurt am Main - Förderprogramme:
Bundesprogramm Biologische Vielfalt
- Kooperationspartner:
- Projektpartner: Städte Dessau-Roßlau, Frankfurt am Main, Hannover; Wissenschaftspartner: Hochschule Anhalt, Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt, Leibniz Universität Hannover; BioFrankfurt
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Projektbeschreibung
Eine der ersten Herausforderungen der sieben Projektpartner bestand darin, eine für das Projekt anwendbare und gültige Definition des Begriffs der "Wildnis in der Stadt" bzw. "Stadtwildnis" zu formulieren. Hier das Ergebnis: "Wildnis in der Stadt bedeutet das Zulassen von natürlichen, auch von Zufall geprägten Entwicklungsprozessen (Prozessschutz). Um die Akzeptanz, Nutzbarkeit und Erlebbarkeit dieser Wildnis auf Seiten der Stadtbevölkerung zu ermöglichen sowie die biologische Vielfalt zu steigern oder einzelne Arten zu fördern (Artenvielfalt), können Eingriffe in die Wildnisflächen erfolgen".
Auf ausgewählten Flächen sind unterschiedliche Ansätze und Maßnahmen zur Förderung von Wildnis-Elementen umgesetzt worden, die sich an den Entwicklungszielen der Flächen ausgerichtet haben. Diese Entwicklungsziele sind maßgeblich von den Rahmenbedingungen der drei Projektstädte bestimmt worden, die sich hinsichtlich eines Aspektes deutlich voneinander unterscheiden: in der Dynamik und Richtung der Bevölkerungsentwicklung. In einer Stadt wie Dessau-Roßlau hat der mit der Wiedervereinigung eingesetzte stete Rückgang der Bevölkerungszahlen dazu geführt, dass durch den damit verbundenen flächenhaften Rückbau von Wohn-, Gewerbe- und Industrieanlagen eine Art Überangebot an freien Flächen (so genannte Stadtbrachen) mitten in der Stadt entstanden ist. Die dortige Sicht der Menschen auf diese Freiflächen unterscheidet sich deutlich von der Einstellung in Frankfurt am Main, wo die Bevölkerungszahl in den letzten 15 Jahren um über 100.000 gewachsen ist. Soziale Infrastruktur, Arbeitsplätze und Verkehrsflächen folgen hier dem zusätzlichen Bedarf an Wohnraum. Der Druck auf verbleibende Freiflächen, Natur und Landschaft nimmt stetig zu; ihre Verfügbarkeit nimmt ab; sie werden zu einem Minimumfaktor der Lebensqualität. Hannover nimmt hier eine Zwischenstellung ein.
Die Entwicklungsziele auf den Projektflächen in Dessau-Roßlau sind darauf ausgerichtet, neben den Beiträgen für den Arten- und Biotopschutz die Menschen durch die Schönheit bzw. Ästhetik der Stadtwildnis für diese Art der Stadtnatur zu gewinnen. Die Einsaat der Stadtbrachen mit regionalen Blühmischungen, die nicht nur den heimischen Insekten Nahrung liefern, sondern auch die Menschen optisch erfreuen (neue städtische Landschaftsbilder entstehen), haben sich in Dessau-Roßlau bewährt. In Frankfurt am Main und in Hannover bestimmt der Ansatz der weitgehend freien Sukzession die Förderung der Stadtwildnis deutlich stärker. „Einfach mal wachsen lassen“ und untersuchen, was passiert. Und in allen drei Städten ist viel passiert. Das hat das Projekt begleitende ökologische Monitoring nachweisen können, auch wenn der Entwicklungszeitraum von fünf Jahren kaum statistisch fundierte Aussagen erlaubt. Aber Trends zeichnen sich ab: Die Vogel- und Insektenwelt profitiert von der Erhöhung der Pflanzenvielfalt und dem Angebot weiterer Lebensraumelemente wie der Anlage von Sandhügeln und -flächen als Habitat für die Wildbienen. Die Erfassung der Gesamtartenzahl bei Schmetterlingen, Heuschrecken, Gefäßpflanzen, Wildbienen und Vögeln belegt, dass sich manche Projektflächen im Laufe der Jahre zu städtischen Hotspots der Artenvielfalt entwickeln konnten.
Doch auch die Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit sind geprägt von Ergebnissen, die Mut machen. Führungen und Kurse für Kinder und Erwachsene, Mitmach- und Experimentierangebote haben dazu geführt, dass die Menschen die Stadtwildnis ganz anders – intensiver und bewusster – erleben konnten und können. Lokale, überregionale und internationale Medien haben über das Projekt berichtet und setzen dies fort (Dokumentation in ARTE in 2023). Mit dem Einsatz sogenannter „WildnisWagen“, die z. B. bei Straßenfesten zum Einsatz kamen, und dem Format der WildnisLotsen, die bis heute auf den Flächen unterwegs sind, sind Werbeträger im Einsatz, die den Bekanntheitsgrad des Projektes - und damit auch die Wertschätzung von Stadtwildnis als solche - deutlich gesteigert haben.
Ein weiterer Spiegel des Interesses am Projekt ist die Zahl der Bachelor- und Masterarbeiten, die sich seit 2017 mit Fragestellungen im Kontext des Projektansatzes beschäftigt haben und dies aktuell weiter tun: bis ins Jahr 2023 hinein 35 an der Zahl.
Eine große Herausforderung ist, den Förderansatz auf den Projektflächen auch fortführen zu können. Dafür stellt das Projekt die Forderung auf, Wildnisflächen mit relevanter Größe (zumindest ein Hektar) und gegebenem Entwicklungspotenzial auch planungsrechtlich im Sinne der Zielerreichung abzusichern.
Es bedurfte nicht dieses Projektes, um zu zeigen, dass Stadtwildnis auch in Deutschland funktioniert – es hat aber neue Ansätze, Experimente und Entwicklungsziele aufgezeigt, die in enger Kombination mit Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit ein weiteres bedeutsames Ziel des Projektes bedienen können – nämlich die Ableitung von Erkenntnissen für die Übertragung auf andere Kommunen, die interessiert und bereit sind, Wildnis zu wagen.