Ökologische Umgestaltung der Erft und Anpassung an die Gegebenheiten nach Ende des Braunkohlentagebaus
Die Erft, ein linker Nebenzufluss zum Rhein, wurde bereits im 18. Jahrhundert massiv ausgebaut und begradigt, um die angrenzenden Feuchtflächen trocken zu legen. In den 1950er Jahren erfolgte ein weiterer Ausbau, um die im Zuge des Braunkohlentagebaus anfallenden Sümpfungswassermengen gefahrlos ableiten zu können. Dafür wurde die Erft auf dem 40 km langen Abschnitt von Bergheim bis Neuss tiefer gelegt und mit einem massiv befestigten Trapezprofil leistungsfähig gestaltet. Dies führte zu einer Abkopplung des Gewässers von seiner Aue.
Mit dem Ausstieg aus der Braunkohlenutzung wird das Abflussregime der Erft ab 2030 vollständig verändert. Die Mittelwasserabflüsse werden nur noch rund 1/3 des heutigen Mittelwasserabflusses betragen, da die Einleitungen aus der Grundwasserhaltung der Tagebaue dann entfallen.
Dementsprechend muss die Erft morphologisch so vielfältig gestaltet werden, dass sie sowohl für heutige als auch künftige Abflussverhältnisse gut gerüstet ist. Dafür wurde das Perspektivkonzept Erft erstellt, das den 40 km langen Flussabschnitt in 23 Einzelprojekte unterteilt.
Die Erftverlegung Gnadenthal ist eines dieser Projekte. Damit eröffnet sich die Chance, auf einer Fläche von rund 30 ha das Rad der Geschichte ein Stück zurückzudrehen und innerhalb eines dicht besiedelten Raums ein naturnahes Gewässer zu gestalten, das seine im Rahmen der Maßnahme extensivierte Aue wieder jährlich flutet und somit die Biodiversität des Gewässers und der Aue erhöht.
Details
- Projektträger:
- Erftverband
- Adresse:
- Am Erftverband 6
50126 Bergheim - Förderprogramme:
Land Nordrhein-Westfalen mit dem Förderprogramm "Hochwasserrisikomanagement und Wasserrahmenrichtlinie - FöRL HWRM/WRRL"
- Kooperationspartner:
- Technische Hochschule Köln (Fakultät 12 Raumentwicklung und Infrastruktursysteme), Haus der Natur - Biologische Station im Rhein-Kreis Neuss e.V.
Projektbeschreibung
Die Erft ist ein kiesgeprägter Fluss des Tieflands (LAWA-Typ 17). Durch die historischen Begradigungen wies der Abschnitt der Erftverlegung Gnadenthal ein Gefälle größer 4 ‰ auf. Die Einschnitttiefe des Gewässers lag bei mehr als 3,5 m, es war entsprechend vollständig von der Aue entkoppelt. Selbst ein 100-jährliches Hochwasser wurde ausuferungsfrei abgeführt.
Aufgrund des hohen Gefälles waren mehrere Sohlschwellen aus massiven Betonklötzen (Tetrapoden) angelegt worden, die die Durchgängigkeit der Erft erschwerten.
Um naturnahe Verhältnisse für das Gewässer und seine Aue herzustellen, musste das Gefälle massiv reduziert werden. Dafür wurde im Unterwasser der Renaturierung ein naturnaher Beckenfischpass hergestellt, was eine Sohlanhebung von 1,5 m bewirkt hat. Zudem wurden teilweise noch vorhandene alte Erft-Schleifen wieder angebunden. Die Lauflänge hat sich dadurch verdreifacht und das Gefälle konnte dem Leitbild entsprechend auf rund 0,45 ‰ reduziert werden. So schlängelt sich die Erft heute wieder in einem naturnahen Flussbett durch ihre Aue und flutet diese bereits bei unterjährlichen Abflüssen. Zur besseren Vernetzung der Erft mit ihrer Aue wurden teilweise auch Sekundärauen angelegt. Durch die Anhebung des Wasserspiegels im Bereich des neuen Erftlaufs wurde das Grundwasser lokal um rund 0,5 m angehoben. Auch dies wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Aue aus. Eine ehemalige, trocken gefallene Stillgewässerstruktur konnte somit wasserstandsabhängig wieder angebunden werden. Hier ergeben sich hervorragende Bedingungen für die Entwicklung von Amphibien.
Im Bereich des Fischpasses wurde eine für die Gewässerfauna nur schwer passierbare Tetrapodenschwelle ausgebaut, eine weitere wurde durch die Neutrassierung umgangen. Somit ist die Durchgängigkeit der Erft vollständig hergestellt worden.
Das neue Flussbett ist nicht befestigt, es darf und soll sich nach Hochwasserereignissen auch verlagern, Kiesbänke und andere für ein natürliches Gewässer typische Strukturen ausbilden und somit wieder Lebensraum für die verschiedenen Flussbewohner bieten. Zur Ausbildung eines unterschiedlichen Strömungsmosaiks wurde auch Totholz eingebaut. Es kamen sowohl Raubäume als auch Wurzelstöcke zum Einsatz, die ihre morphologische Wirkung entfalten können und auch als Unterstand und Deckung für Fische fungieren.
Die neue Gewässertrasse wurde im Juni 2022 fertiggestellt. Bereits im ersten Jahr nach der Flutung des neuen Flusslaufs haben sich verschiedenste Strukturen herausgebildet, die vielfältige Lebensräume für verschiedene Arten bzw. Entwicklungsstadien bieten. Es hat sich bereits ein vielfältiges Fließgewässerbiotop ausgeprägt. Durch Uferabbrüche sind Steilufer entstanden, die Höhlenbrütern wie dem Eisvogel Lebensraum bieten können. Im Gewässer selbst entstand eine vielfältige Abfolge von Kies- und Sandbänken und tiefen Kolken. Die gewünschte eigendynamische Entwicklung ist dementsprechend bereits in Gang gekommen. In den Flachwasserbereichen sind viele Jungfische zu beobachten, die in der neuen Erft ein passendes Zuhause finden.
An 10 Standorten wurden im Sommer 2023 durch die TH Köln - Fakultät für Raumentwicklung und Infrastruktursysteme 360°-Luftbildaufnehmen gemacht, die es ermöglichen, optisch in die Renaturierungstrecke einzutauchen und zu erkunden. Über den folgenden link gelangt man zu dieser Anwendung:
https://www.river-vision.de/vs...
Innerhalb des Planungsraums waren noch rund 8 ha Ackerflächen vorhanden, die nun aus der Nutzung genommen und in extensive Grünlandflächen umgewandelt wurden. In der Aue sollen trockene, wechselfeuchte und feuchte Ausbildungen arten- und kräuterreicher Glatthaferwiesen entwickelt werden.
Neben Einsaaten mit Regio-Saatgut konnten große Flächen über Mahdgutübertragungen durch das „Haus der Natur - Biologische Station im Rhein-Kreis Neuss e.V“ im Jahr 2022 angelegt werden.
Die verwendeten Spenderflächen (FFH-Lebensraumtypen Flachland-Mähwiese (LRT 6510) und Kalk-Halbtrockenrasen (LRT 6210)) sind unterschiedliche Ausbildungen sehr arten- und kräuterreicher magerer Stromtal-Wiesen der Rheinaue, wie sie für den Rhein-Kreis Neuss besonders charakteristisch sind.
Die nun extensivierte Aue weist ein abwechslungsreiches Habitatmosaik auf, das eine hohe Biodiversität ermöglicht. Im kleinräumigen Wechsel gibt es Waldbestände, Sukzessions- und Pflegeflächen, wechselfeuchte und trockene Standorte, Still- und Fließgewässer. Da es für den neuen Erftlauf keinerlei Restriktionen gibt und auch die Gewässerunterhaltung eingestellt wird, unterliegen diese Flächen einer dynamischen Entwicklung.
Der Umstand, dass es bei der Erftverlegung Gnadenthal gelungen ist, einem stark industriell überformten Gewässer wieder leitbildkonforme Rahmenbedingungen zu schaffen und eigendynamische Entwicklungsprozesse zuzulassen, macht das Projekt zu einem guten Beispiel für eine erfolgreiche Umgestaltung eines massiv überprägten Gewässers im siedlungsnahen Raum.